Wo sind die Ausserirdischen?

Diesen Text als PDF herunterladen

«Un missionnaire du moyen âge raconte qu’il avait trouvé le point où le ciel et la terre se touchent…» – Camille Flammarion, 1888

Ich bin nicht der Meinung, dass unsere Umgebung die besten möglichen, die besten denkbaren oder die besten existierenden Voraussetzungen zur Evolution von intelligenten Lebewesen hat. Ich halte solche Vermutungen lediglich für Ausdrücke eines überforderten, anthropozentrischen Weltbilds.

Wir sind gemessen an interplanetaren Größenordnungen schwache, kleine, kurzlebige Lebensformen, und unsere Intelligenz, unser Verstandesapparat reicht nicht aus, grundlegende Eigenschaften der physikalischen Welt zu verstehen. Hierzu gehören der Aufbau der Materie (woraus bestehen Atome nochmal genau, was sind Atome eigentlich und wieso gibt es sie?), der Ablauf der Zeit (warum geht sie immer vorwärts?), das scheinbar wahllose Auftreten irgendwelcher Konstanten in Mathematik (, Eulersche Zahl e) und Physik (Grenze der Ausbreitungsgeschwindigkeit c, Elementarladung e). Schlimmer noch, unsere kollektive Intelligenz reicht nicht aus, Versorgungssicherheit herzustellen, und das, obwohl wir die operativen Mittel dazu bereits hätten (mindestens zwei Drittel der Menschheit leben komplett unnötigerweise in Armut). Unsere kosmologischen Errungenschaften beschränken sich zum größten Teil auf überteuerte Taxifahrten ins Nichts, hochauflösende Farbfotos von Nebel und haltlose, effekthascherische Theoriebildung aller Art. Seit unseren Aufbruchstagen (Erkundung des Sonnensystems) ist sogar ein Rückschritt zu verzeichnen (dieser setzte spätestens mit den überteuerten und sinnlosen Mondfahrten ein).

Alles in allem vergeudet die Menschheit als Ganzes ihre Zeit und Energie mit Blödsinn. Unsere tierischen Instinkte lassen uns gleichzeitig vor wichtigen Einsichten oder der Akzeptanz ihrer Folgen in Form notwendiger Konsequenzen zurückschrecken. Beispiel: wir sind schwache Kohlenstoff-Lebensformen voller Wasser. Wir können nicht einfach brachial auf c beschleunigen und dann binnen vier Jahren zum nächsten Stern fliegen (oder wenigstens in einer Stunde zum Jupiter). Das würde uns zerquetschen.

Wie sähe eine mögliche Lösung aus? Mir fallen ohne Großes Nachdenken Folgende ein:

Lösungsansatz 1: Überwindung der eigenen biophysikalischen Beschränkungen. Wir machen uns selbst robuster, so dass wir größere Beschleunigungen überstehen, oder wir machen uns selbst langlebiger, so dass wir längere Reisen unternehmen können, ohne uns gänzlich zu desozialisieren. Natürlich hat niemand Lust auf 7 Jahre Flug zum Mars und zurück. Wenn er oder sie zurückkehrt, sind alle Bekannten weg, die familiären Bande sind abgebrochen, wer will so in die Welt zurückkehren? Die Erhöhung der Lebenserwartung stagniert jedoch derzeit umgekehrt zu den explodierenden Kosten des Gesundheitswesens. Krankheiten mit weniger als einer Millionen Opfern im Jahr werden heutzutage aus Kostengründen zu „Inselkrankheiten“ deklassiert. Auch die gemeine Erkältung ist weiterhin nicht heilbar. Erreichen wir schon hier eine Grenze des Machbaren? Was die Belastbarkeit des menschlichen Körpers angeht, verzeichnen wir seit dem Mittelalter wohl eher einen Rückschritt, was dem entwöhnenden Effekt der Anwendung der Maschinen zuzuschreiben ist. Stoßen wir hier auf ein Dilemma? Astronauten müssen jedenfalls ein außergewöhnliches leistungssportliches Training durchlaufen, bevor sie ihre Arbeit überhaupt antreten können. Den untrainierten Normalbürger kann man laut Einschätzung der Verantwortlichen also nicht in die Weiten des Weltalls schicken, soll heißen, wir sind per nos keine Spezies von Weltraumfahrern. Wie sollten wir das eigentlich auch sein?

Lösungsansatz 2: Erweiterung unserer intellektuellen Möglichkeiten. Unser Vermögen, Mathematik zu betreiben, ist in weiten Teilen darauf ausgelegt, Schweine zu zählen, weswegen wir auch alle Zahlen, Werte oder sonstwie arithmetisch verwertbare Größen, die über diese Anwendung hinausgehen, mit blumigen Attributen wie „irrational“, „transzendent“ oder gar „imaginär“ belegen. Machen wir uns also selbst intelligenter, und zwar nicht nur den Einzelnen sondern auch uns alle, so dass wir eine kollektive Intelligenz erreichen, die stur die Bedürfnispyramide empor alle ihre Probleme löst (Nahrung/Unterbringung, Sozialisation, Infrastruktur usw.) und schließlich die oberste, die metaphysische Ebene erreicht, in der die Zivilisation als Ganzes sich weiter entwickelt und neue Ziele außerhalb ihres Ermessensbereichs in Angriff nehmen kann, ohne dass die derzeit herrschende Generation davon unmittelbar profitiert. Dann könnten wir problemlos, und ohne um Fördermittel wettzugeifern, Mehrgenerationenschiffe zu den Sternen schicken. Auch hier sehe ich keine konstruktiven Bemühungen irgendwelcher Art, sondern eher das Gegenteil: so wird jetzt die Elitenbildung, der Wettkampf als Heilmittel gepredigt, als sei theoretische Physik so etwas wie Gewichtheben. Wir lesen sogar wieder ernst gemeinte Darlegungen des Rassismus, der so überkommen ist, dass er nach Verwesung stinkt. Ein unüberwindlicher Geldadel will uns in die Steinzeit zurück wirtschaften und die parasitäre Kulturindustrie paralysiert uns mit stupiden Macht- und Gewaltphantasien und allerlei billigen Appellen an die niederen Instinkte, anstatt uns zur Überwindung der eigenen Grenzen, Weiterentwicklung des Einzelnen und der Menschheit zu inspirieren.

Das mag alles wertend, polemisch sein, was ich da schreibe. Wenn ich es mir recht überlege, sind das nicht unbedingt Fehlentwicklungen sondern eher Konsequenzen dessen, was wir sind. Was sind wir? Was ist der Mensch? Wir sind Jäger und Sammler, die auf der Oberfläche eines einige Tausend Kilometer breiten, im Licht der Sonne rotierenden Granitballes zwischen Schlaf- und Wachphasen emsig umher wuseln und versuchen, uns festzukrallen, festzusetzen, einzunisten und zu vermehren. Das mag abwertend klingen, so meine ich das aber nicht! Es ist einfach das, was wir sind! Was sind wir denn sonst, wenn nicht das?

Wir handeln entsprechend dem, was wir sind: wir krallen uns an allem fest, was uns in diesem schwindelerregend hyperzyklisch-bezugslosen Schneckengewinde von Sonnensystem einigermaßen griffig und solide erscheint, und lassen nicht mehr davon ab. Wir sagen dann „es gehört mir“, ist „mein Eigentum“. Wir brauchen diese Solidität des Eigentums, diesen eigenen Felsen, dieses eigene Korallenriff, diese eigene Höhle, diese eigene Herde, diesen eigenen Wintervorrat als Planungssicherheit in einer uns feindlich gesonnenen Umwelt voller zähnefletschender Säbelzahntiger, marodierender Wikingerhorden und der Beulenpest, verheerender Fluten, Dürren, Schneestürme, Erdbeben und was noch sonst. Wir können gar nicht anders.

Das Leben auf diesem Planeten begann in einem Inferno aus Magmafeldern und Asteroideneinschlägen unter zig wenn nicht hunderten Jahrmillionen von tödlich harter kosmischer Strahlung. Wir sind vom fundamentalen Aufbau her auf Überlebensstrategien wie Verbunkerung, Überleben der Art durch schiere Masse aber auch Vereinzelung und Überleben dieses Einzelnen um jeden Preis ausgerichtet.

Wir formen irgendwelche Vorkommen irgendwelcher Rohstoffe in uns selbst um (Stoffwechsel), und wenn wir durch Mutation eine Art hervorbringen, für die keine solchen Rohstoffe mehr übrig sind, betrachtet diese die anderen Arten als Rohstoff (Nahrungskette). Dementsprechend ist die einzige Form von „Intellekt“, die sich auf diesem Planeten etabliert hat, ein Werkzeug, eine Waffe, die eine bessere Stellung im täglichen Überlebenskampf sichern soll. Es ist übrigens nicht meine Überzeugung, dass diese Errungenschaft (wenn man sie als solche verstehen will) von Dauer sein wird. Wie in der Komödie „Evolution“ aus dem Jahr 2001 treffend bemerkt wird, ist die stärkste, überlebenstüchtigste Lebensform nicht zwangsläufig die komplexeste. Dementsprechend ersteigt am Ende des Films als Ergebnis einer „blitzartigen Alternativ-Evolution“ aus den Tiefen der Erde eine sinnbildliche Riesen-Amöbe, die die auf sie gerichteten Panzerabwehr- und Schnellfeuerwaffen mit dröhnendem urweltlichem Gebrüll unter ihren Pseudopodien zermalmt. Ist das unser evolutionäres Schicksal? Wenn ja – wird uns der Eingriff in den Ablauf der genetischen Veränderung durch Genmanipulation wirklich davor bewahren oder ist dies nur eine trickreiche Variation desselben Themas – „Überleben des Stärkeren?“. Ich weiss es nicht, mein Intellekt reicht nicht aus, das zu beurteilen.

Betrachtet man es so, dann sind doch durchaus einige Szenarien denkbar, in denen sich eine Form von sich selbst erhaltendem, sich selbst weiterentwickelndem Intellekt ausprägt, der, was das interstellare Reisen angeht, verschiedene Vorteile hat. Ein solcher für das interstellare Reisen ausgeprägte Intellekt hat keine ständigen Rohstoff- oder sonstige Erhaltungssorgen, oder zumindest sind diese geringer als unsere. Er ist nicht abgelenkt von einer ständigen selbst- oder fremdverschuldeten materiellen Unbill. Er vermag sich – und sei es aus einer Laune heraus – auf das Erkunden höherer Formen der Ordnung und höherer Klassen der Komplexität zu fokussieren. Er vermag sich zu organisieren und als Ganzes, ohne innere Gegenwehr das gewaltige Unterfangen der Überwindung der interstellaren Abgründe zu unternehmen.

Ganz gleich wie es zu einer Entwicklung eines solchen Intellekts nun im Detail kommen kann, definitionsgemäß verliefe diese Entwicklung unter wesentlich günstigeren, sozusagen wohlwollenderen Umständen als die Unsere. Dementsprechend ist anzunehmen, dass diese Evolution auch wesentlich schneller, da unbehinderter voranschritte. Und dem wiederum zufolge sollte man doch annehmen, dass sich diese Entwicklung, wenn sie sich denn abspielt, bereits abgespielt hat, und zwar schon vor sehr, sehr langer Zeit. Dazu ein Gedankenexperiment.

Stellen wir uns eine biologische, darwinistische Evolution vor, die so verlaufen ist wie die irdische, allerdings mit dem kleinen aber feinen Unterschied, das nicht alle paar hundert Millionen Jahre ein riesiger Asteroid drei Viertel der Artenvielfalt, darunter die Etabliertetsten, gerade konzentriert mit der eigenen Weiterentwicklug Beschäftigtsten aus der Biosphäre fegt, so dass alles, was der Evolution zur Weiterentwicklung übrig bleibt, wieder irgendwelche irgendwo dämlich eingegrabene Plattwürmer oder verzottelte Zwerghamster sind. Eine solche Evolution hätte – bei gleichem Zeitpunkt des Beginns – vor der unseren mindestens mehrere hundert Millionen Jahre Vorsprung. Die Phase des intelligenten Lebens hätte sich in einer solchen, nicht ständig durch Kataklysmen torpedierten Umgebung also schon abgespielt, als bei uns das Leben vielleicht gerade einmal die Weltmeere verlassen hat. Womit auch immer sich eine Zivilisation, die unseren Stand bereits vor fünfhundert Millionen Jahren durchlaufen hat, heute beschäftigt, es liegt ganz sicher komplett und samt und sonders ausserhalb unseres Ermessensbereiches. Wir sind gerade damit beschäftigt, einander plausibel zu erklären, warum wir völlig problemlos und sorgenfrei binnen zweihundert Jahren Rohstoffe abfackeln können, deren Ablagerung zweihundert Millionen Jahre erfordert hat. So weit sind wir.

Gesetzt den Fall, unsere Art der Evolution ist keine Günstige sondern eher eine Ungünstige, dann haben die günstigen, die weiter verbreiteten Evolutionen schon längst unsere Phase durchlaufen und sind in das (aus unserer Sicht) metaphysische Gebiet der Überwindung aller uns bekannten Grenzen vorgestossen. Dort haben sie was auch immer angestellt – keiner kann es beurteilen – und tun es vielleicht noch immer. Vielleicht setzen sie wahllos kosmologische Konstanten fest, um uns zu verwirren oder formen riesige bunte Nebelwolken um uns zu gefallen. Vermutlich sind wir für sie allenfalls so interessant wie Tausendfüßler. Umgekehrt ist dann unsere, die schwierigere Form der Evolution, die unter tödlicher Bestrahlung und ständigem Asteroidenbeschuss versuchen muss, Windbeutel mit Kanonen zu verschießen, ohne dass ihnen der Sauerstoff ausgeht, eher die Ausnahme, ja sogar eine sehr seltene Ausnahme, die möglicherweise zoologisches Interesse bei den „Begünstigten des Kosmos“ zu erwecken vermag, so sie denn endlich einmal entweder aufgrund eines unwahrscheinlichen Zufalls entdeckt wird (wer vermutet schon eine Theatervorstellung in der Kanalisation, eine unentdeckte Orchideenart auf einer Müllkippe oder eben eine technisierte Zivilisation auf einer von einem hauchdünnen wässrigen Dunst umwehten Planetenoberfläche?) oder durch irgendetwas Großes, Leuchtendes auf sich aufmerksam macht – und ich weiß wirklich nicht, ob ich mir das wünschen soll.